Stärkung der Demokratiebildung an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft
RdErl. d. MK v. 11.5.2021 - Az. 23.2 80009/1 (SVBl. 6/2021 S. 293) - VORIS 22410 -

Bezug:
a)
RdErl. „Kerncurricula, Rahmenrichtlinien und Curriculare Vorgaben für das allgemein bildende Schulwesen“ v. 1.10.2020 (SVBl. S. 472) - VORIS 22410 -
b)
RdErl. „Ergänzende Bestimmungen für das berufsbildende Schulwesen (EB-BbS) v. 10.6.2009 (Nds. MBl. S. 538, SVBl. S. 238), zuletzt geändert durch RdErl. v. 25.1.2019 (Nds. MBl. S. 338, SVBl. S. 103) - VORIS 22410 -
c)
RdErl. „Schulisches Qualitätsmanagement an berufsbildenden Schulen auf der Grundlage des Kernaufgabenmodells BBS (KAM-BBS)“ v. 19.5.2016 (SVBl. S. 397) - VORIS 22410 -
d)
RdErl. „Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen als Grundlage der Qualitätsentwicklung an allgemein bildenden Schulen“ v. 16.7.2014 (SVBl. S. 442), geändert durch RdErl. v. 29.5.2019 (SVBl. S. 353) - VORIS 22410 -
e)
RdErl. „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft“ v. 1.3.2021 (SVBl. S. 110) - VORIS 22410 -

1. Allgemeines

Die Schule ist ein Lebens- und Lernort unserer Demokratie. Sie soll als ein demokratischer Erfahrungsraum ausgestaltet werden. Demokratiebildung ist daher in jeder öffentlichen Schule von Anfang an zu stärken und qualitativ und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ausgangs- und Bezugspunkt der Demokratiebildung ist der Bildungsauftrag nach § 2 Niedersächsisches Schulgesetz sowie für die öffentlichen allgemein bildenden Schulen der Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen und für die berufsbildenden Schulen das Kernaufgabenmodell (KAM-BBS).

Der Erlass „Stärkung der Demokratiebildung an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft“ nimmt Bezug auf die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zu Demokratiebildung, Menschenrechts- und Europabildung sowie zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. Weitere Grundlagen bilden der Referenzrahmen des Europarates „Kompetenzen für eine demokratische Kultur“, der Erlass „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft“ sowie die Ziele des UNESCO-Programms „BNE 2030“.

Anregungen zur Schulentwicklungsarbeit können der Anlage entnommen werden.

2. Ziele und Aufgaben der Demokratiebildung in der Schule

Schülerinnen und Schüler sollen im Rahmen der Demokratiebildung darauf vorbereitet werden, als mündige Bürgerinnen und Bürger kritisch und selbstreflexiv in demokratischen Aushandlungsprozessen mitzuwirken. Dies gilt in lokalen oder regionalen Zusammenhängen, auf nationaler, europäischer oder auch globaler Ebene. Hierzu bedarf es Demokratiekompetenzen, die Werte und Einstellungen, praktische Handlungsfähigkeiten sowie Wissen und kritisches Denken umfassen. Eine wichtige Stellung bei der Stärkung der Demokratiebildung in der Schule kommt dem Unterricht in den Fächern „Politik-Wirtschaft“, „Politik“, „Gesellschaftslehre“ oder „Sachunterricht“ zu.

Jungen Menschen politische Teilhabe zu ermöglichen und Partizipation zu stärken, ist ein zentrales Anliegen der Demokratiebildung. Dies teilt sie u. a. mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), der Europabildung und der Global Citizenship Education der UNESCO.

Die Schule in der demokratischen Gesellschaft verwirklicht die Menschen- und Kinderrechte und schafft geeignete Strukturen, um allen Schülerinnen und Schülern eine Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben zu ermöglichen und eine sichere und partizipative Lernumgebung zu bieten. Das Erleben von Vielfalt und der positive Umgang mit Verschiedenheit als grundlegendem Wert in einer pluralistischen Demokratie sollen als gesellschaftliche Normalität in der Schule erfahrbar sein und pädagogisch gestaltet werden. Die Schule soll als Ort demokratischer Bildung und des friedlichen Zusammenlebens in ihrer Nachbarschaft, Kommune oder Region präsent und wahrnehmbar sein.

Die Schule ist der geeignete Ort, die Mündigkeit junger Menschen zu fördern und zu festigen sowie ihnen Teilhabe und Engagement zu ermöglichen, denn hier werden alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen erreicht. Die Demokratiebildung berücksichtigt die individuellen Voraussetzungen und fördert die Fähigkeiten und Interessen der Schülerinnen und Schüler. Demokratiebildung ist somit auch inklusive Bildung.

Die Demokratiebildung dient der Entwicklung und Festigung demokratischer Werte, Einstellungen und Haltungen sowie entsprechender personaler, fachlicher und sozialer Kompetenzen, die für die Institution Schule wie auch gesamtgesellschaftlich von Bedeutung sind. Sie trägt wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler bei und leistet einen wichtigen Beitrag bei der Förderung von Chancengleichheit.

Die Schule ist kein wertneutraler Ort: Grundlegende demokratische Werte wie die Würde des Menschen, Freiheit und Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität, Pluralismus und Gleichberechtigung sind verbindlich für die Demokratiebildung an Schulen. Grundlage hierfür bilden die allgemeinen Menschenrechte, die UN-Kinderrechtskonvention, die UN-Behindertenrechtskonvention, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die im Grundgesetz verankerten Grundrechte. Dazu gehört, Standpunkte und Meinungen nicht zu tolerieren, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten unvereinbar sind. Keinesfalls dürfen sie seitens des schulischen Personals unkommentiert bleiben. Vielmehr sollten sie zum Anlass einer gemeinsamen Reflexion mit den Schülerinnen und Schülern dienen.

Gesellschaftliche Veränderungen, Krisen, Konflikte und Herausforderungen sollen im Unterricht regelmäßig zum Gegenstand kritisch-kontroverser Diskurse und Auseinandersetzungen gemacht werden. Dies geschieht gemäß dem „Beutelsbacher Konsens“.

Zugleich sollen diese Auseinandersetzungen auf die demokratische Gestaltung gesellschaftlicher Gegenwarts- und Zukunftsfragen bezogen werden.

Fundierte Analyse-, Orientierungs-, Kritik-, Urteils-, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen stellen wesentliche Bildungsziele dar, ebenso wie die damit verbundene Kompetenz zur friedlichen Lösung von Konflikten, zur politischen Streitkultur und zum reflektierten Umgang mit Medien.

Schülerinnen und Schülern soll im Unterricht und im Schulalltag systematisch demokratisches Handeln und damit verbunden Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht werden.

Demokratiebildung ist eng verknüpft mit einem weiten Diversitäts- bzw. Inklusionsbegriff, der alle Dimensionen von Verschiedenheit wie ethnokulturelle Herkunft, Religion und Weltanschauung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung und den sozioökonomischen Status einschließt. Ziel ist es, Chancengleichheit herzustellen, Diskriminierung abzubauen und Vielfalt als positiven Wert zu betrachten und in der Schule zu leben.

Demokratiebildung setzt sich zudem kritisch-reflektiert mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie mit aus diesen resultierenden Formen der Exklusion und Benachteiligung auseinander, die sich auch in Bildung und Schule widerspiegeln. Um dem entgegenzuwirken und jeder Schülerin bzw. jedem Schüler Teilhabe zu gewährleisten, ist die Berücksichtigung diskriminierungs- und rassismuskritischer Konzepte in Unterricht und Schulkultur ein wesentlicher Bestandteil von Demokratiebildung. Darauf verweist insbesondere die „Frankfurter Erklärung für eine kritisch-emanzipatorische Politische Bildung“.

3. Demokratiebildung als Element der Schul- und Unterrichtsqualität

Demokratiebildung reicht weit über Kompetenz- und Wissensvermittlung in einzelnen Fächern, berufsbezogenen und berufsübergreifenden Lernbereichen hinaus. Sie stellt vielmehr ein wichtiges Kriterium von Unterrichts- und Schulqualität insgesamt dar. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie die Schule dazu beitragen kann,

  • dass junge Menschen befähigt werden, ein Bewusstsein und eine Haltung als demokratische Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln und
  • dass alle am Schulleben Beteiligten motiviert und darin gestärkt werden, sich aktiv gestaltend in Schule und am Gemeinwesen zu beteiligen.

Zur Erreichung dieser Ziele sind

  • wirksame direkte und repräsentative Partizipationsstrukturen,
  • ein konsequent kooperatives und kollaboratives Lernen und Arbeiten,
  • eine dialogorientierte Kommunikation,
  • ein konstruktiver Umgang mit Konflikten,

wesentliche Voraussetzungen.

4. Maßnahmen zur Stärkung und Entwicklung der Demokratiebildung an Schulen

Die Förderung der Demokratiebildung ist eine Aufgabe der gesamten Schulgemeinschaft und soll auf allen Ebenen qualitativ gestärkt und weiterentwickelt werden. Dies bedeutet, dass die pädagogischen und schulorganisatorischen Gremien einen Beitrag im Sinne der oben genannten Ziele leisten. Die Voraussetzungen und bereits bestehenden Strukturen an der jeweiligen Schule werden dabei berücksichtigt und in den Prozess integriert.

Die Schule stärkt die Demokratiebildung als Querschnittsaufgabe im Unterricht aller Fächer bzw. der berufsbezogenen und berufsübergreifenden Lernbereiche im berufsbildenden Schulwesen. Darüber hinaus wird sie in außerunterrichtlichen Bildungsangeboten, in der Schulkultur und -organisation, der Personalentwicklung und Gremienarbeit sowie in der Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnerinnen und Partnern etabliert. Für den berufsbildenden Bereich spielen die Betriebe, Verbände und Träger dabei eine wichtige Rolle.

An berufsbildenden Schulen ist die Stärkung der Demokratiebildung in den Zielvereinbarungsprozess zu integrieren. An allgemein bildenden Schulen sollte die Stärkung der Demokratiebildung im Schulprogramm verankert werden, an Ganztagsschulen darüber hinaus im Ganztagskonzept.

Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter initiiert, steuert und verantwortet den Gesamtprozess, fördert Engagement und Eigenverantwortung beteiligter schulischer Akteurinnen und Akteure, unterstützt die multiprofessionelle Zusammenarbeit und ermöglicht auch innovative pädagogische Ansätze und Beteiligungsformen. Darüber hinaus integriert die Schulleitung die Demokratiebildung in das schuleigene Fortbildungskonzept bzw. in entsprechende Fortbildungsplanungen und fördert aktiv die Qualifizierung des pädagogischen Personals.

Die Entwicklung einer partizipationsorientierten demokratischen Schulkultur kann durch eine Vielzahl abgestimmter Maßnahmen, wie z. B. durch die Einrichtung von Klassenräten, Schülerinnen- / Schülerparlamenten, von Schülerinnen und Schülern selbstverwaltete Arbeitsgemeinschaften, Vollversammlungen, Projektlernen, die (Weiter-)Entwicklung einer Feedbackkultur oder die Stärkung von Peer-Learning, gefördert werden. Geeignet sind zudem pädagogische Ansätze, die in freieren Formaten Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit stärken. Hierzu können auch Angebote im Rahmen des Ganztags beitragen.

Demokratiebildung erfordert auch die Öffnung der Schule nach außen, d.h. sie entwickelt und stärkt Kooperationen mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Personen sowie betrieblichen Partnerinnen und Partnern, mit Einrichtungen der Jugendhilfe, Beteiligungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene wie Jugendparlamenten oder Jugendzentren, Kommunen, Gedenkstätten, Museen und weiteren außerschulischen Lernorten. Ziel ist es, vielfältige Anlässe und Lerngelegenheiten für soziales Engagement und politische Partizipation zu schaffen. Dies schließt Formen des Globalen Lernens, internationale Partnerschaften und europabezogene Aktivitäten ausdrücklich ein.

Die Teilnahme an einschlägigen Wettbewerben der Politischen Bildung kann Schulen neue Impulse bei der Verankerung und Stärken der Demokratiebildung verleihen.

5. Beratung und Unterstützung

Die Schulen erhalten bei der Stärkung und Weiterentwicklung der Demokratiebildung in vielfältiger Weise Unterstützung, Beratung und Begleitung, insbesondere durch

  • eine Beratungs- und Unterstützungsstruktur in den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung,
  • Fort- und Weiterbildungen, Materialerstellung sowie schulspezifische interne und externe Evaluation durch das NLQ,
  • das Bildungsportal auf dem Niedersächsischen Bildungsserver mit geeigneten Instrumenten, Methoden, Konzepten, Fortbildungsangeboten und Beispielen guter Praxis,
  • Vorhaben zur Erprobung innovativer Ansätze im Rahmen von Demokratiebildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.

6. Aufbau von Netzwerken und Auszeichnung von Schulen

Die Mitarbeit von Schulen in Netzwerken mit demokratiepädagogischer Schwerpunktsetzung – bspw. UNESCO-Projektschulen, Europaschule in Niedersachsen, Internationale Nachhaltigkeitsschule/Umweltschule in Europa, „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ - trägt wesentlich dazu bei, im Sinne von Peer-Learning das Lernen voneinander zu fördern und Demokratiebildung an Schulen zu verankern und zu vertiefen.

Ab 2021 werden allgemein bildende und berufsbildende Schulen, die Demokratiebildung in besonderer Weise in die Schul- und Unterrichtskultur integrieren, vom Niedersächsischen Kultusministerium als „Ausgezeichnete Demokratieschule in Niedersachsen“ auf Grundlage eines Bewerbungs- und Auswahlverfahrens ausgezeichnet. Ziel ist der Aufbau eines landesweiten Netzwerks zur Erweiterung und Vertiefung der Demokratiebildung in Niedersachsen.

7. Modellprojekt „Zukunftsschule“

Um Schulen bei der Entwicklung, Erprobung und Umsetzung innovativer Ansätze im Sinne des Erlasses zu unterstützen, wird ab Ende des Jahres 2021 das Modellprojekt „Zukunftsschule“ umgesetzt. BNE und Demokratiebildung stellen dabei wichtige Säulen des Schulentwicklungsprozesses dar. Schulen aller Schulformen können sich beteiligen. Die detaillierten Rahmenbedingungen sind im Schulverwaltungsblatt 2/2021 veröffentlicht worden.

8. Schlussbestimmungen

Der RdErl. tritt am 1.6.2021 in Kraft und mit Ablauf des 31.12.2026 außer Kraft.

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Anlage: Zur Übersicht über die Handlungsfelder in grafischer Darstellung (pdf-Format)


Schule und Recht in Niedersachsen (www.schure.de)