Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an öffentlichen allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie Schulen in freier Trägerschaft
RdErl. d. MK v. 1.3.2021 - Az. 23.5 80009/ 1 (SVBl. 3/2021 S. 110) - VORIS 22410 -

Bezug:
a)
RdErl. d. MK „Kerncurricula, Rahmenrichtlinien und Curriculare Vorgaben für das allgemein bildende Schulwesen“ v. 1.10.2020 (SVBl. S. 472) - VORIS 22410 -
b)
RdErl. d. MK „Ergänzende Bestimmungen für das berufsbildende Schulwesen (EB-BbS) v. 10.6.2009 (Nds. MBl. S. 538, SVBl. S. 238), zuletzt geändert durch RdErl. v. 25.1.2019 (Nds. MBl. S. 338, SVBl. S. 103) - VORIS 22410 -
c)
RdErl. d. MK „Schulisches Qualitätsmanagement an berufsbildenden Schulen auf der Grundlage des Kernaufgabenmodells BBS (KAM-BBS)“ v. 19.5.2016 (SVBl. S. 397) - VORIS 22410 -
d)
RdErl. d. MK „Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen als Grundlage der Qualitätsentwicklung an allgemein bildenden Schulen“ v. 16.7.2014 (SVBl. S. 442), geändert durch RdErl. v. 29.5.2019 (SVBl. S. 353) - VORIS 22410 -

1. Allgemeines

Ziel des vorliegenden Erlasses ist es, dazu beizutragen, in Schulen ein explizites Verständnis von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zu entwickeln, BNE systemisch in Unterricht und Schulkultur zu verankern und qualitativ weiterzuentwickeln.

BNE ist ein weltweites zukunftsorientiertes Bildungskonzept. Ziel ist die Befähigung und Stärkung von Lernenden in der globalisierten und sich permanent verändernden Welt, um mündige, selbstbestimmte und verantwortungsbewusste Handlungsentscheidungen treffen zu können.

In Niedersachsen erfüllen die allgemein bildenden und die berufsbildenden Schulen den Bildungsauftrag nach § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Anregungen und Unterstützung zur Umsetzung finden Schulen in der erlassbegleitenden Übersicht zur Schulentwicklung BNE (s. Anhang).

2. Bildungsverständnis

Ziel von BNE ist es, Schülerinnen und Schüler zu einem selbstbestimmten, mitgestaltenden, verantwortungsbewussten und solidarischen Leben in der globalisierten Gesellschaft zu befähigen. Im Vordergrund steht die Förderung von zukunftsfähigem und transformativem Denken und Handeln. Das Lernen für die Zukunft vermittelt über Faktenwissen hinaus Fähigkeiten und Werte, die es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen, kritisch zu hinterfragen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Dabei werden ökologische, ökonomische, soziale, politische, kulturelle sowie ethische und religiöse Dimensionen berücksichtigt.

Insofern trägt BNE in besonderer Weise zur Umsetzung von § 2 des NSchG bei und ist verpflichtend für alle Schulen.

BNE ist eng verknüpft mit Konzepten wie Umweltbildung, Globalem Lernen, Demokratiebildung, interkultureller Bildung, Bildung zu nachhaltiger Mobilität, Verbraucherbildung, Friedenspädagogik etc.

Um Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen des Lebens in der globalisierten Gesellschaft vorzubereiten, bedarf es einer schulischen Bildung, die jedem Kind und jeder Jugendlichen bzw. jedem Jugendlichen eine individuelle Entwicklung im Rahmen einer offenen und partizipativen Lern-, Unterrichts- und Schulkultur ermöglicht. Damit betrifft BNE die ganze Schule.

BNE ist ein kompetenzorientierter Ansatz, welcher im Wesentlichen auf folgenden zwei Konzepten basiert:

  1. Das Konzept der Gestaltungskompetenz wurde im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) "21" entwickelt. Sie unterscheidet zwölf Teilkompetenzen und unterteilt diese in ‚personale Kompetenzen‘, ‚fachliche und methodische Kompetenzen‘ und ‚soziale Kompetenzen‘.
  2. Das Kompetenzkonzept des von der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) veröffentlichten Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung unterscheidet die drei Kompetenzbereiche ‚Erkennen‘, ‚Bewerten‘ und ‚Handeln‘.

Beide Kompetenzkonzepte haben zum Ziel, die Verantwortungs-, Urteils- und Handlungsfähigkeit von Lernenden - auch in sozialen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen - zu stärken. Der kompetenzorientierte BNE-Ansatz ist integrativ zu verstehen, um den Aspekt der Nachhaltigkeit im Unterricht, im Schulleben und im Ausbildungs- und Arbeitsprozess zu berücksichtigen.

BNE in Niedersachsen ist eng verknüpft mit einem weiten Diversitäts- bzw. Inklusionsbegriff, der alle Dimensionen von Verschiedenheit umfasst und auf Chancengerechtigkeit für Menschen mit Behinderungen, natio-ethno-kulturelle Gerechtigkeit, Gendergerechtigkeit, Raum für eine eigenständige sexuelle Orientierung und sozio-ökonomische Chancengerechtigkeit abzielt. Das Erleben der Vielfältigkeit von persönlichen Bedürfnissen und der pädagogisch positive Umgang mit Verschiedenheit als grundlegender Wert in einer pluralistischen Demokratie sollen als gesellschaftliche Normalität erfahrbar sein.

Es besteht eine enge Verknüpfung von BNE und politischer Bildung. Demokratische Prozesse täglich erlebbar zu machen und Unterricht und Schulkultur daran auszurichten, zielt u. a. auf die Entwicklung demokratischer Haltungen und den Aufbau und die Stärkung von Demokratiekompetenzen bei Kindern und Jugendlichen ab.

BNE ist in den niedersächsischen Kerncurricula der Fächer der allgemein bildenden Schulen im Kapitel „Bildungsbeitrag des Faches“ festgeschrieben. Daraus leitet sich eine Berücksichtigung von BNE in den schuleigenen Arbeitsplänen und Jahresplanungen ab, die eng zwischen den Fächern, Bildungsgängen und Fachgruppen abgestimmt sind und übergreifende Organisationsstrukturen ermöglichen sollen.

Schulinterne fächerverbindende, fachübergreifende und berufsbereichsübergreifende Kooperationen sowie eine Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnerinnen und Partnern unterstützen die Umsetzung von BNE.

In berufsbildenden Schulen kann in handlungsorientierten Lernsituationen im berufsbezogenen und berufsübergreifenden Lernbereich ein immanenter Kompetenzaufbau im Bereich BNE verortet werden. An den öffentlichen berufsbildenden Schulen gilt es für alle Bildungsgänge und Fachgruppen kompetenzorientierte schulische Curricula entsprechend der Leitlinie „Schulisches Curriculum-BBS (SchuCu-BBS)“ zu entwickeln und zu implementieren.

Für das Qualitätsmanagement der öffentlichen berufsbildenden Schulen stellt das Kernaufgabenmodell-BBS (KAM-BBS) den verbindlichen Rahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung dar. Die schulindividuelle Strategie weist Handlungsfelder aus, die die Implementierung einer BNE in den schulischen Curricula der Bildungsgangs- und Fachgruppen nachhaltig sicherstellen, wie z. B. Leitbild pflegen (S1), Schulprogramm fortschreiben (S3), Nachhaltig wirtschaften (R2).

3. BNE als Aufgabe der gesamten Schulgemeinschaft

BNE lässt sich in ihren verschiedenen Bereichen und als ganzheitlicher Ansatz sowohl im Unterricht als auch in Projekten sowie im Schulleben verankern und stellt eine wichtige Säule der Schulprogrammarbeit und der Leitbildentwicklung dar. In enger Wechselwirkung mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen ist BNE als Aufgabe zur qualitativen Weiterentwicklung von Schulen in den Qualitätsbereichen des Orientierungsrahmens Schulqualität für allgemein bildende Schulen und im Kernaufgabenmodell für berufsbildende Schulen in Niedersachsen enthalten und stellt somit einen wichtigen Aspekt der Schulentwicklung dar.

Schulentwicklung im Sinne von BNE ist Aufgabe aller an Schulentwicklung Beteiligten unter Einbindung des Ganztagsangebots und wird durch externe Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner unterstützt.

Die strukturelle Verankerung von BNE im Unterricht sowie in den außerunterrichtlichen Ganztagsangeboten kann besonders gewinnbringend umgesetzt werden, wenn

  • die Auswahl von Themen im besonderen Maße relevante Fragestellungen der Schülerinnen und Schüler aufgreift,
  • die Auseinandersetzung im Unterricht ökologische, ökonomische, soziale, kulturelle, politische sowie ethische und religiöse Dimensionen miteinander verbindet,
  • überfachlich vernetztes Wissen und Haltungen erworben und reflektiert werden,
  • eigenverantwortliche und partizipative Lernprozesse Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen,
  • Organisationsformen und Lernformate etabliert sind, die selbstbestimmtes Lernen und individuelle Lernwege begünstigen.

Darüber hinaus umfasst BNE u. a.

  • Netzwerke, Kooperationen, Partnerschaften und Zusammenarbeit mit Ausbildungsbetrieben und außerschulischen Bildungsanbietern,
  • soziale Arbeit in schulischer Verantwortung,
  • schulische Beteiligungsprozesse unter Einbezug aller am Schulleben Beteiligten, demokratische Aufgabenverteilung und Kooperation der Akteurinnen und Akteure,
  • Schulleben und unterrichtsergänzende Angebote,
  • Steuerung und Management,
  • Qualitätszirkel im allgemein bildenden Bereich und ein verbindliches Qualitätsmanagement im berufsbildenden Bereich im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses,
  • die Kooperation mit Ausbildungsbetrieben als Partnerinnen und Partner der berufsbildenden Schulen im dualen System sowie
  • die Einbindung der Ergebnisse der Modellversuche der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung vom Bundesinstitut für Berufsbildung.

In der Kooperation mit dem Schulträger kann die nachhaltige Entwicklung auch in die bauliche Gestaltung und die Ausstattung der Schule sowie in die nachhaltige Bewirtschaftung der Schule hineinwirken. Schülerinnen und Schüler können diese Prozesse partizipativ mitgestalten und Nachhaltigkeit als Element ihres schulischen Alltags erleben.

Die Schulleitung benennt eine Lehrkraft als BNE-Ansprechpartnerin oder BNE-Ansprechpartner. Die BNE-Ansprechpartnerin oder der BNE-Ansprechpartner unterstützt die Schulleitung, die zur Auseinandersetzung mit BNE anregt und den Prozess strukturiert und steuert. Es können auch mehrere Schulen eine gemeinsame BNE-Ansprechpartnerin oder einen BNE-Ansprechpartner benennen. Anregungen und Unterstützung zur Umsetzung finden Schulen in der Übersicht zur Schulentwicklung BNE (s. Anhang).

4. Prozesssteuerung

Die Steuerung des Transferprozesses zum BNE-Erlass erfolgt grundsätzlich durch die Schulbehörden und das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ).

a) Beratungs- und Unterstützungssystem der nachgeordneten Schulbehörden

Die nachgeordneten Schulbehörden bieten für die Verankerung von BNE Beratung und Unterstützung für Schulen und Studienseminare, Schülerinnen und Schüler, Erziehungsberechtigte sowie Lehrkräfte und das nicht lehrende Personal an.

Die BNE-Prozesse in den nachgeordneten Schulbehörden werden durch vier Fachdezernentinnen und Fachdezernenten in den jeweiligen nachgeordneten Schulbehörden gesteuert. Sie werden durch je eine Fachberaterin oder einen Fachberater BNE unterstützt.

Die Fachberaterinnen und Fachberater BNE entwickeln bedarfsgerechte Angebote zur Unterstützung der allgemein bildendenden und der berufsbildenden Schulen im Sinne einer BNE-unterstützenden Schul- und Unterrichtsentwicklung und führen diese durch. Dabei beraten sie die Schulen sowohl in der Schulprogrammarbeit, in der Verankerung von BNE in den schuleigenen Arbeitsplänen, in der Gestaltung fächerverbindender bzw. fachübergreifender Unterrichtssettings und auch in der Umsetzung von Projekten. Sie unterstützen die Schulen dabei, Gestaltungsspielräume zu entdecken und auszuschöpfen sowie Peer-Learning-Formate zu befördern. Sie fördern die Vernetzung von Schulen untereinander sowie mit außerschulischen Lernorten und weiteren Akteurinnen und Akteuren der BNE in der Zivilgesellschaft. Sie berücksichtigen bei der Beratung im besonderen Maße eine diversitätsreflexive Unterrichtsentwicklung, die die Fähigkeiten zum vorausschauenden Denken und interdisziplinären Arbeiten, Partizipation, Perspektivübernahme, Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit, Solidarität und die Reflexion des eigenen Lebensstils fordert und stärkt. In den berufsbildenden Schulen werden diese Aspekte der Unterrichtsentwicklung immer in den Kontext der Handlungs- und Kompetenzorientierung gestellt. Im berufsbildenden Bereich wird der BNE-Prozess von allen Fachberaterinnen und Fachberatern unterstützt, im Zusammenwirken mit den Fachberatungen BNE über Lernsituationen umgesetzt und in schulische Curricula implementiert.

b) Modellprojekt „Zukunftsschule“

Um Schulen bei der Entwicklung, Erprobung und Umsetzung innovativer Ansätze im Sinne des Erlasses zu unterstützen, wird ab dem Schuljahr 2021/22 das Modellprojekt „Zukunftsschule“ umgesetzt. BNE und Demokratiebildung stellen dabei wichtige Säulen der Schulentwicklungsprozesse dar. Schulen aller Schulformen können sich beteiligen. Die detaillierten Rahmenbedingungen wurden im Schulverwaltungsblatt 2/2021 veröffentlicht.

5. Zusammenarbeit mit außerschulischen Akteurinnen und Akteuren

Die Umsetzung von BNE geht mit einer Öffnung von Schule einher. Lernen findet nicht nur im Schulgebäude statt, sondern reicht von der Arbeit mit außerschulischen Lernorten, im kommunalen Raum bis hin zur Zusammenarbeit mit internationalen Partnerinnen und Partnern. Auf diese Weise können Inhalte, Aufgaben, Frage- bzw. Problemstellungen besser veranschaulicht und durchdrungen sowie Gestaltungskompetenzen gestärkt werden. Zudem werden im Rahmen der Gestaltung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten Kooperationen mit außerschulischen Expertinnen und Experten eingegangen. Darüber hinaus nutzen Lehrkräfte sowie pädagogische Fachkräfte die Beratung und Unterstützung durch außerschulische Expertise.

a) Anerkannte außerschulische Lernstandorte BNE

Die vom Niedersächsischen Kultusministerium auf der Grundlage von Qualitätskriterien anerkannten außerschulischen Lernstandorte BNE unterstützen Schulen bei der Umsetzung von BNE durch Angebote vor Ort sowie Kooperationen, die in die Schulen hineinwirken. Darüber hinaus bieten sie zum Teil sowohl analoge als auch digitale Materialien und Formate an, die anschlussfähig an die Arbeit an den Schulen sind.

Die an vielen Lernstandorten BNE wirkenden Lehrkräfte unterstützen den Lernstandort in der Umsetzung und Weiterentwicklung didaktischer Konzepte und entsprechender pädagogischer Arrangements am Lernstandort und tragen damit zur Fortentwicklung des Lernstandortes bei. Sie orientieren sich an den Kerncurricula, Rahmenrichtlinien bzw. Rahmenlehrplänen der jeweiligen Schulform. Durch die Zusammenarbeit mit Schulen stellen sie sicher, dass die Erfahrungen am Lernstandort in den Unterricht und das Schulleben wirken.

b) Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure

In Niedersachsen bestehen vielfältige Angebote von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, die Schulen durch ihre außerschulische Expertise und Kompetenz bereichern können - z. B. im Unterricht, in außerunterrichtlichen Ganztagsangeboten sowie in Projekten bzw. in Form von langfristiger Zusammenarbeit.

6. Fortbildungsangebot des Landes

Ergänzend zum Fortbildungsangebot des Landes werden Umsetzungsprojekte und Veranstaltungen zum Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung und zum Nationalen Aktionsplan BNE durchgeführt, an denen sich die Schulen beteiligen können.

7. Netzwerke / Netzwerkarbeit

Neben den Netzwerken zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure, auf die Schulen zurückgreifen können, bestehen und entwickeln sich Schulnetzwerke, die die Ziele von BNE verfolgen - wie insbesondere das Netzwerk der Internationalen Nachhaltigkeitsschulen / Umweltschulen in Europa und jenes der UNESCO-Projektschulen.

Die Netzwerke werden im Rahmen von Veranstaltungen, Fortbildungen, Fachtagungen etc. unterstützt.

8. Schlussbestimmungen

Dieser RdErl. tritt am 1.6.2021 in Kraft und mit Ablauf des 31.12.2026 außer Kraft.


Schule und Recht in Niedersachsen (www.schure.de)